Söder & die Krise – das große Missverständnis

Ministerpräsidenten und Kanzlerin haben neue Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise beschlossen. Mehr Einschränkungen, ein weiteres Stilllegen von Gastronomie und Kultur sowie weitere Regulierungen für Schule und Sport sollen die Infektions- und damit auch Todeszahlen senken. Im Zentrum steht mal wieder einer, der sich passend zu inszenieren weiß: Der bayerische Ministerpräsident, der selbst die Videokonferenz mit Maske durchführt.

 

Söder inszeniert sich bei einer Videokonferenz mit Maske
Söder inszeniert sich bei einer Videokonferenz mit Maske

 

Markus Söder ist beliebt. So richtig. In der Top 5 der beliebtesten lebenden Bayern ist er wohl einzuordnen, neben Franz Beckenbauer, Barbara Schöneberger, Dirk Nowitzki und Elyas M’Barek; der beliebteste CSU-Mann deutschlandweit ist er sowieso. Doch mindestens so sehr, wie sein Auftreten und seine Mischung aus harter Hand und grüner Seele viele Deutsche zu beeindrucken scheinen, weiß er selbst um diese Inszenierung. Die Corona-Krise lässt ihn, nachdem man kurzweilig das Gefühl bekommen konnte, er überhole die Grünen auf der E-Bike-Spur, wieder als harten Macher dastehen, der insbesondere die zahlreichen Konservativen in seiner Partei und in der Bundesrepublik an sich zu binden weiß. Das alles wäre nicht weiter beeindruckend, wenn es nicht eine kleine, aber feine Tatsache gäbe, einen Fakt, der nun einmal nicht hinwegzureden ist: Söders Auftreten trügt. Denn die Zahlen, zuallererst die Infektionszahlen der letzten 2 Monate in Bayern, sprechen eine ganz andere Sprache. Man mag es kaum aussprechen, aber Söder hat sein Land zurzeit nicht im Griff.
In Bayern explodieren die Infektionszahlen, gerechnet auf die Einwohnerzahl sind es die mit Abstand höchsten in ganz Deutschland. Fast 200.000 Menschen haben sich in Bayern mittlerweile infiziert, bei den Todesfällen ist Bayern mit über 3.500 die traurige Nummer eins. Die Karte der Landkreise sieht für Deutschlands flächenmäßig größtes Bundesland wie eine Wettervorhersage im Hochsommer aus: Rot, rot und noch mehr rot. Von einer 7-Tage-Inzidenz von 50 sind alle Landkreise bereits weit entfernt, lediglich acht liegen in Bayern noch bei unter 100. Markus Söder hat dafür eine Begründung parat: In Bayern sei viele Reiseverkehr, viel Grenze zu anderen Bundesländern und Staaten. Niedersachsen grenzt an die meisten Bundesländer und an die Niederlande, Nordrhein-Westfalen hat neben einer deutlich höheren Einwohnerzahl als Bayern auch noch Belgien zum Nachbarn – ein Land, das bekanntermaßen besonders hart getroffen wurde von der zweiten Welle. Das Land Bayern und die CSU stehen vor einer traurigen Wahrheit: Markus Söder inszeniert sich perfekt, seine Arbeit als Krisenmanager muss mindestens kritisch bewertet, wenn nicht gar einem vernichtenden Urteil unterzogen werden.
 
Maskenpflicht beim Zoom-Call
Die gesammelten Daten sind traurig für Bayern und jeden, der einen geliebten Angehörigen durch diese Krankheit verlieren musste. Gerade deswegen ist Söders Auftreten geradezu zynisch. Er selbst sieht sich ein bisschen zu gern in seiner Rolle, angesichts der Jahrhundertkrise, die es für alle gemeinsam zu bewältigen gilt. Da wird selbst nicht davor zurückgeschreckt, die Maske für einen kleinen Fotoshoot bei der Online-Ministerpräsidentenkonferenz aufzusetzen. Dass sich Viren über Internetleitungen übertragen lassen, habe ich bisher als in den Bereich der Verschwörungstheoretiker und „Querdenker“  gehörend abgebucht. Aber natürlich – das Signal zählt. Doch im Videocall mit den Ministerpräsidenten Maske zu tragen, offenbart einen weiteren Aspekt neben der Selbstinszenierung, der Söders Auftreten in der Krise bedenklich macht. Denn kurz vor jeder Ministerpräsidentenkonferenz oder anderen Entscheidungsfindung gibt es Pressemeldungen aus Bayern: Liebe Länder, jetzt hört mal zu.
Denn Markus Söder fordert auch gerne Dinge von anderen Ländern. Über allem steht immer wieder das „bundesweite Vorgehen“, das er anmahnt (welches Bundesland steht in allen Fragen so wenig für ein bundesweites Vorgehen wie Bayern), aber auch sonst wird sich nicht mit Vorschlägen zurückgehalten: Die Zügel müssten angezogen werden, einen längeren Lockdown brauche es sowieso, Lockerungen über Silvester sind Quatsch. Der Noch-Nicht- (und ich wette: Niemals-)Bundeskanzler lässt sich von so formellen Dingen wie 15 anderen Ministerpräsidenten nicht zurückhalten. Er scheint damit viele Menschen in der Bevölkerung überzeugt zu haben: Verwirrende Regeln sind vielen ein Dorn im Auge, trotz wachsender Kritik wollen die allermeisten Deutschen immer noch harte, einheitliche Maßnahmen.
 
Die Mär vom Flickenteppich
Regional unterschiedliche Regelungen werden gerne als „Flickenteppich“ abgestempelt, einzelne Kuriositäten mehr hervorgehoben als die Ungerechtigkeiten, die ein komplett einheitliches Vorgehen in deutlich höherem Maße zutage fördern würde. Den Föderalismus, der uns in dieser Krise gestärkt und nicht geschwächt hat, scheint sogar der bayerische Ministerpräsident als Relikt aus der Vergangenheit ad acta gelegt zu haben. Ein Blick auf die Zahlen des RKI macht eine regional unterschiedliche Bewertung jedoch unbedingt erforderlich: Im Süden gibt es andere Herausforderungen als im Norden, im stark besiedelten Westen andere Bedingungen als in der Mecklenburgischen Seenplatte. Und: Einzelne Landesregierungen scheinen die Krise sogar besser zu managen; dazu gehört wohl eher nicht die in Bayern. Regional unterschiedliche Regelungen können anstrengend sein und es ist wohl leichter, einer auch nur scheinbar harten Führung zu folgen. Verhältnismäßig gut sehen die Zahlen übrigens in Schleswig-Holstein aus, mehrere Kreise sind hier auf der Karte des RKI noch gelb eingefärbt. Gerade hier haben wir den einzigen FDP-Gesundheitsminister.
Ich wünsche Herrn Söder wirklich im Sinne der Bevölkerung, dass Bayern die Corona-Krise schnellstmöglich in den Griff bekommt. Auf die ein oder andere Selbstinszenierung und mahnende Bemerkung aus dem Freistaat möge der Ministerpräsident jedoch gerne verzichten.